Ich möchte Euch von einem Gespräch zwischen mir und einer guten Freundin – nennen wir Sie mal Lou - erzählen, welche mit mir nun schon einige Male zu einem Aufstellungsabend bei Margrit dabei war.
Lou hatte also das Los gezogen und ihr Anliegen war: “Warum habe ich Bluthochdruck?“
Ich war in Resonanz mit dem “ich” von Lou, als kleines Kind, um das sich niemand kümmerte, fühlte mich nicht gesehen, nicht beachtet, vernachlässigt, hatte Angst, auch Todesangst, heulte wie ein Schlosshund vor lauter Einsamkeit. Lou versuchte mich zu trösten und kam zu mir her, was mir sehr gut tat. Das “Warum” entpuppte sich während der Arbeit als Mutter-Anteil und als diese auf mich zukam schrie ich und wollte sie nicht bei mir haben. Ich erzählte ihr dann schluchzend, dass die Mama mich umbringen wollte (wahrscheinlich ersticken im Kinderbett).
Lou konnte das nicht glauben und schaute also immer wieder zu ihrer Mama. Die Tatsache, dass Lou mir nicht glaubte war für mich, als Kind, der größte Verrat. Ich wollte, dass sie mir glaubte und mir dies so bestätigte.
Lou konnte es nicht. Sie konnte es nicht glauben, dass ihre Mama so sein könnte, dass sie ihr was lebensbedrohliches angetan haben könnte. Sie konnte mir als Kind (als junge Lou) nicht glauben und vertrauen, dass ich die Wahrheit sagte!
Die Resonanzgeberin für den Mutter-Anteil ignorierte meine Angst, wollte näher kommen, ließ aber davon ab, nachdem ich als Kind schrie wie am Spieß und ihre Nähe nicht haben wollte. Also zog sie sich wieder zurück, war sehr empathielos und cool.
Das Anliegen endete damit, dass Lou zwar bei mir in der Nähe war, ganz langsam mit dem eigenen jungen “ich” emotional in den Kontakt kam und das „ich“ das auch akzeptierte, endlich Nähe zu haben und mit meiner Not gesehen zu werden. Für den eigenen Prozess von Lou war das ein ganz wichtiger erster Schritt. Natürlich wäre es für das “ich” - die kleine Lou - noch viel erlösender gewesen, dass ihr geglaubt würde, dass die Mama lebensbedrohlich war, aber es kam bei Lou (noch) nicht an und sie konnte es zu diesem Zeitpunkt weder anerkennen, noch konnte sie es aussprechen.
Beim Kaffe danach:
Als ich nach der Aufstellung mit meiner Freundin noch einen Kaffee trank und wir uns unterhielten hatten wir ungefähr folgenden Dialog:
Lou: Das glaub ich einfach nicht, meine Mutter würde das nie tun, hast du das wirklich so gespürt?
Ich: Aber du hast doch gesehen, in der Aufstellung was Tatsache ist, ich war dein Spiegelbild für deine Psyche, ich spielte keine Rolle, ich hatte keine Verhaltensvorgaben, es ist wie es ist, es ist Fakt.
Lou: Aber meine Mama hatte es ja auch nicht leicht, sie war ja auch schwer krank
Ich: Ja, aber deine Mutter wollte dich nicht, sie wollte dich töten, auch wenn es nur einmal ein kurzer Gedanke war, aber ich habe es gespürt und gemerkt. Es gab also einen Moment da wollte sie dich nicht. Es gab also eine Ablehnung von Seiten deiner Mutter.
Lou: Ich hatte eigentlich eine gute Kindheit, meine Mutter war schon sehr fürsorglich, aufopfernd für mich.
Ich: Ja aber deine Mutter war zu wenig für dich da, entweder ganz real zu wenig präsent oder auch in ausreichendem Masse nicht liebevoll zugetan und sie war wahrscheinlich unfähig Mutter zu sein und emotional und liebevoll für dich verfügbar zu sein. Wahrscheinlich war sie auch traumatisiert.
Lou: Ja meine Mutter hatte auch keine leichte Kindheit, sie war die älteste von 7 Geschwistern.
Ich: Ja das kann ich mir vorstellen, das war die Generation der Nachkriegszeit, die alle auch traumatisiert waren. Aber die Verschuldung der Mutter an dir und die sozialen Umstände damals, in denen deine Mutter lebte oder leben musste, hängen zwar eng zusammen, sind aber aus Sicht des Kindes zwei grundverschiedene Dinge.
Lou: Aber es ist wirklich schwer dies zu glauben, was kann ich denn jetzt machen?
Ich: Das Zulassen dieser Informationen, die nicht schön und sicherlich nicht einfach zu glauben sind für dich ist ein Prozess, wobei die Wahrheit, die sichtbar geworden ist, nicht immer auf einmal erkannt wird. Wenn du in der Lage bist, die eigenen Erfahrungen, Gefühle und Erinnerungen zuzulassen, kann sich ein Heilungsprozess vollziehen, indem du immer mehr mit dir selber verbunden wirst und immer mehr über deine eigene Lebensgeschichte verfügen kannst.
Lou: War das auch so bei dir?
Ich: Ja, die Konfrontation mit der Wahrheit meines eigenen Lebens brachten heftige Gefühle hervor und es war nicht immer leicht dies zu akzeptieren und es brauchte auch Zeit; Aber dann später habe ich diese Erkenntnis als eine Erleichterung erfahren.
Lou: Hast du eigentlich auch schon mal die Rolle solch einer Mutter gehabt?
Ich: Ja, in den vielen Resonanzgeber-Rollen in denen ich eine Mutter repräsentierte, repräsentierte ich leider nur 1x eine liebende Mutter, all die anderen male waren es Mütter welche vielleicht physisch präsent aber emotional abwesend waren.
Lou: Wirklich nur 1x, das kann ich ja fast nicht glauben!
Ich: Leider ja, es sind Mütter, welche keinen, aber auch wirklich keinen Kontakt zu ihren Kindern hatten und auch keine wollten oder selbst so traumatisiert waren, dass es ihnen unmöglich war Gefühle für das Kind zu entwickeln.
Mythos Mutterliebe:
Wenn ich in der Schule malte (ich war Nachhilfelehrerin), fiel mir auf, wie viele Kinder das auf ihre Bilder schrieben: “Liebe Mama ich hab dich ganz doll lieb!“ Diese Kinder bekamen nicht mal genug zu essen und zu trinken von ihren Eltern mit in die Schule. Niemand spielte mit ihnen und sie krabbelten jedem Menschen, wenn sich die Gelegenheit bot, auf den Schoss in der Hoffnung dort etwas zu bekommen, was zu Hause gänzlich fehlte.
Die öffentliche Ablehnung eines Kindes durch seine Mutter ist in den heutigen Gesellschaften hoch tabuisiert. Dieser Mythos erschwert es, die Realität so zu sehen wie sie ist. Es gibt Mütter, die ihre Kinder über alles lieben, und es gibt Mütter, die ihre Kinder nicht lieben können, sie ablehnen, emotional missbrauchen oder ihnen körperlich Gewalt antun.
Der Mythos kann bei Kindern auch unrealistische Vorstellungen über das wecken, was ihre Mütter wirklich für sie leisten können.
Die symbiotische Mutterbindung ist einzigartig und kann im Erwachsenenalter nicht nachgeholt werden. Nicht einmal ein liebevoller, verständnisvoller Partner kann dieses Bedürfnis später stillen. Die Ursehnsucht nach der feinfühligen Zuwendung der Mutter, auch bedingungslosem Angenommen sein sowie emotionaler und körperlicher Nähe bleibt bestehen, wenn auch weitgehend unbewusst.
Tief im inneren verborgen existiert es noch, das damals im Säuglings- und Kinderzimmer allein gelassene Kind, es weint immer noch und ängstigt sich weiterhin zu Tode. Mit ihm wurden auch all die überwältigenden traumatischen Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Wut und Verzweiflung abgespalten und in die Tiefen des Unbewussten verdrängt. Dieses Kind verzehrt sich bis heute in Sehnsucht nach seiner Mutter und sucht diese vergeblich in jedem Menschen, an den es sich bindet. Auf diese Weise beeinflussen unbewusste Persönlichkeitsanteile lebenslang das Verhalten und Erleben, besonders die Beziehung zu unseren Partner und Kindern.
In den meisten Gesellschaften werden Mütter verherrlicht, als wären sie durch ihre Gebärfähigkeit automatisch auf fürsorglich. Das stimmt einfach nicht. Der „Mutterinstinkt“ lässt sich nicht einfach einschalten, so dass eine Frau, vor allem eine problembeladene, plötzlich eine Bindung zu ihrem kleinen Kind aufbaut, deren Bedürfnisse kennt, dementsprechend handelt und umsorgt.
Natürlich ist es falsch, in Freudscher Tradition die Mütter zu Schuldigen zu erklären und ihnen für alle Missgeschicke Vorwürfe zu machen. Doch die Gleichung „Mutterrolle = gesunde Liebe“ zeigt sich meist als ist eine Illusion.
Die berechtigten Gefühle gegenüber dem mütterlichen Versagen dürfen also nicht durch ein Verständnis für die Situation der Mutter unterdrückt werden. Dies geschieht eigentlich regelmäßig und ist eine häufige Ursache für unverstandene Krankheiten oder Symptome. Für den eigenen Prozess ist es daher wichtig, dass unsere eigene Kindheits-Realität von uns selber gesehen wird und wir uns nicht vom Leid unserer Eltern ablenken lassen.
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Mascha (Freitag, 28 August 2020 12:59)
Ich finde das ein wenig "gefährlich", so ein Szenario auf unser Leben 1:1 zu übertragen. Je nachdem könnte es auch sein, dass das ein Familienthema ist, welches im Resonanzfel, im Energiefeld der Familie vorhanden ist ... und dann ist das im Anliegen so, als hätte das Knd das erlebt .... es muss aber nicht so sein ...
Danke
Margrit (Samstag, 12 September 2020 15:06)
Liebe Mascha, danke für dein Einbringen dieser möglichen Gefahr. Selbstverständlich darf man die Resultate einer Arbeit anzweifeln. Das bedeutet es macht völlig Sinn "dran zu bleiben", d.h. weiter versuchen der Wahrheit auf den Grund zu gehen und dies z.B. mit weiteren Aufstellungen gegen zu prüfen. Die Gruppen sind ja dann auch immer wieder anders, die Leute kennen sich oft nicht und die Informationen gehen letztendlich in immer feinere Details.
Ich danke dir sehr für diesen Input, damit ich an dieser Stelle auch auf Falltüren bei dieser Arbeit hinweisen kann, wenn offenbarten Gefühlen und Informationen von Resonanzgebern angezweifelt werden:
1. Als Begleitung muss ich mich auf das beziehen, was der/die Resonanzgeber äussert/n. Wenn ich als Begleitung die Informationen der Resonanzgeber anzweifeln würde, dann könnte ich diese Arbeit nicht professionell begleiten. Meine eigenen Interpretationen wären völlig fehl am Patz und ich würde ein Szenario inszenieren. Diese Situation ist manchmal auch für mich nicht immer so einfach mit zu tragen, weil ich mir völlig im Klaren bin, dass gewisse Resultate nicht immer in das bisherige Weltbild der Klientin/en passen. Schlussendlich aber sind sie die einzigen Personen, die im Verlauf ihres Prozesses eine Verbindung zu ihrer vollständigen Biografie finden können und dadurch das erlittene Trauma heilen können.
2. Meine Erfahrung zeigt sehr oft, dass der eigene Heilungs-Prozess durch Täterschutz gehemmt wird. Das heisst der Klient ist (noch) nicht in der Lage anzuerkennen, dass er/sie ein (mögliches) Opfer von einer geliebten Person wurde.
Die Situation widerspiegelt im Prinzip eben genau die Haltung die ein Opfer (aus einem traumatisierten Erlebnis) über Jahre einnehmen muss, um eine ursprüngliche oder immerzu währende traumatisierende Situation aushalten zu können.
Beispiel 1: Stell dir mal eine Person vor, mit dem du es knapp einen Abend oder einen Tag in Gemeinsamkeit aushalten würdest. Nun wirst du dort in diese Familie als Kind rein geboren und musst diese Person über Jahre aushalten... Als Kind wird das zur Normalität. Es wird das Spannungsfeld, die emotionalen und/oder psychischen Misshandlungen aushalten müssen.
Das Kind wir dann auf seine Weise überleben müssen und wird dabei in den meisten Fällen elternloyal bleiben. Es wird sich dann als erwachsene Person sogar auch gerne an eine schöne Kindheit zurückerinnern, weil es ja dazwischen sicherlich auch mal Sonnenschein gab.
Beispiel 2: Eine Mutter hegt Abtreibungsgedanken, was ja unter Umständen absolut verständlich sein kann (und ich meine dies auch nicht verurteilend!). Die Konsequenzen aus diesem Gedanken oder Vorhaben werden sehr tiefgreifend sein, auch das zeigt sich immer wieder in aller Deutlichkeit bei den Aufstellungen. Der Embryo erfährt dies in vollem Umfang, er bekommt dies durch das System der Mutter mit und identifiziert dies als eine erste Lebensgefahr – und zwar von der eigenen Mutter ausgehend.
Natürlich kann eine Mutter die emotionale Kurve wiederbekommen, sich für das Kind entscheiden und ihm in den weiteren Lebensjahren danach «normal» zur Verfügung stehen, aber die Wahrheit, dass ein emotionaler Bruch stattgefunden hat, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Das ist, wie wenn man als Erwachsener von einer Person verraten wird, dann braucht es ganz viel Engagement beiderseits, um das Vertrauen wiederaufzubauen. Die Auswirkungen eines Abtreibungsgendankens oder -versuchs zeigen sich bei den Klienten meist sehr vielfältig aber dafür sehr fundamental.
Dieses Thema finde ich genau deshalb so wichtig, weil ich ja um die eigene Autonomie geht und dazu gehört eben auch: vorsichtig sein, prüfen und nicht alles für bare Münze nehmen.
Ich selber hatte auch schon Aufstellungen, wo ich einfach mal die Informationen ad acta legen musste, weil ich mit gewissen Infos (noch) nichts anfangen konnte, aber ich glaube das ist wie überall mit der Wahrheitsprüfung: Einfach mal offen bleiben, informieren, abwarten und weiter nach der Wahrheit suchen.
Viele Wahrheiten kommen erst viel später ans Licht oder eventuell eben gar nie.
Lieber Gruss
Margrit
Anne Marschall (Montag, 07 Dezember 2020 21:29)
Ich habe in mehreren Aufstellungen in den letzten Jahren auf unterschiedliche Art gezeigt bekommen, dass ich in einer frühen Phase meiner pränatelen Zeit durch eine sehr große Angst meiner Mutter traumatisiert wurde (mein älterer Bruder war lebensgefährlich erkrankt und blieb danach schwerbehindert).
Für mich bedeutete es, nicht ja zum Leben sagen zu können und das Gefühl mich nicht angenommen zu fühlen.
Weiterhin kam bei einer Sitzung der karmalogischen Astrologie heraus, dass dies ein Thema ist, das meine Seele zur Auflösung mitgebracht hat und es ein altes Familienthema meiner Grossväter sei (also Familienthema, wie Mascha schrieb). Das hatte durchaus auch einen entlastenden Aspekt - zu sehen, dass wie ein größerer Plan dahinter ist und ich mich darum kümmere.
Das ist alles stimmig für mich und ich bin jeweils in die Gefühle gegangen, habe an meiner Mutterbeziehung gearbeitet, habe an meiner (sehr versteckten!) Wut auf sie und meinen Bruder gearbeitet und ich merke trotzdem, dass das Thema noch nicht aufgelöst ist.
Aus meiner Sicht gibt es für mich emotional hier nichts mehr zu tun.
Das Thema taucht immer mal wieder in unterschiedlichem Kontext auf und
ich begegne ihm wie einem alten Bekannten: "da bist Du ja wieder."
Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass es noch in den Zellen steckt.
Kann das sein und was kann ich tun?
Liebe Grüße,
Anne
Margrit (Mittwoch, 03 Februar 2021 17:43)
Liebe Anne - danke für das Mitteilen deiner Erfahrungen. Auch hier kann ich "nur" Erfahrungswerte anbringen: Ein Trauma kommt selten allein. Innerhalb unserer eigenen Therapeuten-Gruppe arbeiten wir schon seit Jahren zusammen und Bindungstraumata stecken so dermassen in den Zellen, so dass wir in der Tat wirklich viel Arbeit haben, uns immer wieder auf unsere eigenen Gefühle zu fokussieren, resp. mit uns selber in Kontakt kommen, Emphatie für unseren verletzen Anteil entwicklen, um immer wie mehr zu unseren Gefühlen kommen. Ein Gradmesser für diese Entwicklungen und Prozesse sind die "Trigger". Die Erfahrung zeigt, dass sie nachhaltig verschwinden können. So lange es mir immer wieder passiert, dass ich von "0 auf 100" fahre, so lange kann ich darauf zählen, dass da noch etwas unverarbeitetes in den Zellen steckt. Ebenfalls lassen sich diese Trigger durch Betäubung oder Berrauschun auch verdrängen - auch das zeigt sich in diesem Kontekt immer wieder. Man kann damit Leben, wir haben uns ja schon an so vieles gewöhnt. Deshalb gefällt mir die Anliegenmethode so sehr - der weitere Prozess eines Themas hängt wirklich vom eigenen Anliegen ab. Ich kann deshalb wirklich nur dazu ermutigen bei sich selber hinzuhören und spüren, ob da noch was geklärt werden möchte. Je früher das Trauma, desto weniger haben wir einen Bezug zu unseren Verhaltensmuster, Trigger.oder Körpersymptomen.
Ich hoffe, dass ich da einen Impuls einbringen konnte.
Herzliche Grüsse
Margrit Senn