Ich frage mich immer öfters, wie ich bei manchen Gesprächspartner noch Gedanken austauschen kann, diskutieren kann, ein Gespräch führen kann, das inhaltlich über das persönliche Befinden oder das Wetter hinausgeht, vor allem wenn man keinen gemeinsamen Nenner, keine gemeinsame Basis hat? Wie ist ein inhaltlich sinnvolles Gespräch mit jemandem möglich, der die Realität ausblendet?
Warum ist es so schwierig, eine neue Perspektive einzunehmen und seine fest eingefleischten Meinungen beiseite zu stellen? Genau das ist von vielen, blindgläubigen Menschen am wenigsten zu erwarten. Ich riskiere bei ihnen viel eher, für verrückt gehalten oder gar als Bedrohung erlebt zu werden.
Also, dann lieber doch nur übers Wetter, den neuesten Nagellack, Essen und ganz persönliche Empfindungen sprechen und ansonsten zu allem Aberglauben bedeutungsvoll nicken?
Wie das Gespräch letzte Woche mit meiner Freundin Lou, welche bei mir mal wieder zum Kaffee vorbeischneite und über ihre Familie jammerte und über ihr Leid und ach wie blöd doch alle sind, ihren Partner der Depp, der alleine in Meditation Urlaub geht und sie alleine ist, und es generell nur noch wenig Gemeinsamkeiten zwischen den beiden gibt und die Kinder- sie sind ja so undankbar……..und sie erzählt mir, dass die Tochter ein neues Auto möchte, aber keinen Job hat und die neuen Diäten alle nicht klappen und Corona..…..und die Nachbarin……..blablabla!
..."und wie geht es dir wirklich?"
Ja da kommt dann der Moment, wo ich anfange zu fragen: “Und wie geht es Dir?” . Da sieht sie mich erstaunt an und sagt: "Ja bei mir passt alles." Ich frage nochmal nach: "Wie geht es dir wirklich, bei so viel Stress, hast du auch Zeit für dich?”. Da merke ich, dass sie etwas zögert, die Augen werden leicht feucht aber sie antwortet wieder: "Nein, alles ok, ich habe nur viel zu tun..."
Eigentlich stimmt es ja nicht, Ihr geht es nicht gut, sie nimmt Tabletten gegen Depression, über Scheidung wurde schon gesprochen. Die Familiensituation ist katastrophal, sie lenkt sich ab durch Arbeit, hilft jedem der sie darum bittet, "hat eigentlich keine richtige Freundin", sagt sie mir und hat sich die paar Stunden für den Kaffeeklatsch bei mir eigentlich so ergaunert und freigeschaufelt.
Ja und diese viele Arbeit, das Ablenken und die Depression ist eigentlich gegen sie gerichtet. Hier gibt es widernatürliches Denken, was zeigen soll, dass sie gegen ihren Strom schwimmt, gegen die Natur und somit letztlich gegen ihr eigenes Interesse. Dafür müsste sie aber ein Denken revidieren und ihre Logiken ändern.
Selbstbetrug vs. Wahrheit
Wir wissen alle wie schwierig es ist!
...auch ich. Menschen sind bereit alles Mögliche aufzugeben, sogar ihr Leben um nur nicht ihre Glaubenssätze und ihre Behauptungen, ihre Schulmeinungen, ändern zu müssen. Menschen sind bereit für falsche und merkwürdige Ideen und Ansichten zu sterben, ihre Familie und Freunde zu opfern und riesige Mengen an zwecklosen Leid zu ertragen.
Warum? Weil bei ihnen die Brücke zwischen Körper und Kopf zusammengebrochen ist und es keine Verständigung in ihrem System mehr gibt. Der Kopf rettet sich selbst und opfert dafür den Körper - ohne zu akzeptieren, dass er damit seine eigene Existenzgrundlage aufgibt.
Diese Aussage:"Bei mir passt doch alles" (die Tabletten für die Depression nimmt sie wahrscheinlich nur so aus Spass) ist im Grunde genommen reiner Selbstbetrug. Solche Aussagen sind Betäubungsmittel oder Schmerzblocker. Unser Gehirn benutzt Bilder und Richtlinien um den Fokus innerhalb des Nervensystems von allem Körperlichen, vor allem von Schmerzen und Störungssignalen abzulenken.
Wie z.B meine Mutter, welche nun sehr krank ist, Demenz hat. Meine Mutter war emotional nie zu erreichen - dies zeigte sich auch bei den vielen IOPT Anliegen, welche ich gemacht habe. Gefühle gab es bei meiner Mutter nicht, aber auch gar nicht! Es gab nur Arbeit und Ablenkung, um sich nicht mit körperlichen Symptomen befassen zu müssen. Meine Mutter weigerte sich vehement diverse Kurse wie Achtsamkeit oder Atemübung usw. zu machen, welche ich ihr Alternativ zu ihren Ärzten (bei den sie auch die Platin- Karte hat - aber es ihr trotz jahrelangen Konsultationen nicht besser ging) empfohlen hatte.
Sie hatte nie Probleme, sagte sie, alles ist gut und ist ja nicht so schlimm.
Funktionieren vs. Fühlen
Menschen werden zu Maschinen. Je länger sie in diesem Zustand sind, desto mehr zu vermeidende Schmerzen stauen sich in ihnen an, was die Motivation, nichts zu fühlen und nur als Maschine zu funktionieren stetig erhöht. Es sammeln sich immer mehr zu vermeidende Schmerzen an und es erhöht sich immer mehr die Motivation nicht zu fühlen und nur als Maschine zu funktionieren. Das freie, fühlende Menschsein wird zur Gefahr und zur Bedrohung, so dass man zu allem bereit ist um damit nicht in Berührung zu kommen, keine Bindung bekommt. Weil dies immer den langsam auflodernden Schmerz bewusst machen könnte.
Wer aber gegen den emotional Schmerz ist, der muss auch gegen Heilung und letztlich gegen die menschliche Gesundheit sein.
Das totale psychische Ausblenden ist ja auch der beliebteste Selbstschutz. Die meisten Menschen haben einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass unbequeme Informationen direkt aus ihrem Gewahrsein gelöscht werden, noch bevor sie einen Gedanken oder eine Emotion auslösen können. Man kann ihnen Dinge sagen und es ist so, als hätte man nichts gesagt. Oder sie vergessen es sofort wieder. Nicht, weil es bedeutungslos ist, sondern weil sie keine Schublade für die neue Information haben.
Was können wir machen?
Wir können uns mit uns selbst und unserer Psyche in unmittelbaren Kontakt treten. Eine sehr gute Methode ist die IOPT mit einer “Selbstbegegnung”. Dabei wird uns unser verinnerlichtes, weitgehend unbewusst arbeitende psychisch Bindungssystem auf diesem Weg zugänglich. Wir kommen mit diesem Verfahren sogar bis an den Anfang der Entstehung eines Menschen heran. Wir überwinden damit die Bewusstwerdungsschwelle, denn erst mit dem zweiten Lebensjahr und der Herausbildung eines Sprachbewusstseins können wir uns an unsere Biografie bewusst und in Erlebnisepisoden erinnern.
Der Widerstand gegen das persönliche Erwachsen werden
Widerstand richtet sich gegen das Fühlen als solches und gegen einzelne Gefühle. Einer kann vielleicht Traurigkeit fühlen, aber keine Wut. Eine andere zwar Angst, aber für sie ist der Schmerz ganz unerträglich.
Jeder von uns hat emotionale Probleme, das habe ich in meinen vielen IOPT Seminaren immer wieder erleben können, dass wirklich jeder von uns Schwierigkeiten hat mit dem Gefühl, nicht geliebt zu werden, nicht gewollt zu sein, dass wir nicht sicher waren, überleben zu können. In uns stecken Todesängste, Ängste vor dem verlassen werden, das sind solche starken Emotionen, die wir abgespalten haben.
Extremsport, Workaholic, Meditation, Yoga, Alkohol, Medikamente, Kiffen... oder sonst was, können diese emotionalen Ängste weder beseitigen noch lösen. Es sind emotionale Probleme, die auf der Ebenen gelöst werden müssen wo sie entstanden sind.
Wenn es ein Problem mit deinem Schmerz ist - ein Schmerz zum Beispiel der sich bemerkbar macht, dass du abgelehnt bist und nicht geliebt bist - dann musst du noch mal in diesen Schmerz eintauchen, musst noch einmal Kontakt zu diesem Schmerz haben, damit du wieder aus dieser Spaltung kommst. Das kann man nicht wegdiskutieren nicht wegaktionieren, das geht nur durch emotionale Arbeit. Und das ist Schmerz - und viele haben keine Lust auf Schmerz. (Prof. Franz Ruppert)
Heilung ist für mich Integration
Heilung und Integration ist ein schmerzhafter und langwieriger Weg, aber am Ende steht dann Freiheit und eine würdevolle Intaktheit (Ganzheit). Der gegenüber steht der Schmerz vermeidende und vermeintlich bequemere Weg, der Wahrheit ausblendet und Gefühle unterdrückt... an deren Ende dann Unsicherheit, Hass und Neid stehen. Dies kann sich dann eben äußern im Widerstand/Kampf gegen Kompetenz, gegen Wissen, gegen Kraft und Stärke, gegen Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit u.a.
Heilung ist für mich Integration, das heißt im günstigsten Fall, was geschehen ist, einen Sinn zu geben, es erfolgreich in die eigene Biographie zu integrieren und neue Erfahrungen zu machen, damit alte Wunden und Verletzungen nicht länger das Leben bestimmen.
Integration bedeutet, immer mehr Freiheit darüber zu erlangen, was wir fühlen wollen, um im Hier und Heute zu leben und immer mehr agieren, statt zu reagieren. Integration bedeutet, sich lebendig und mit sich verbunden zu fühlen.
Bis zum nächten Mal - liebe Grüsse
Inge
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Alexander (Freitag, 22 Juli 2022 13:59)
Toller Artikel!
Sous Nos Yeux (Sonntag, 24 Juli 2022 16:22)
Sehr guter Artikel. Chapeau!! Du liegst auf der Coach und im Fernsehen zeigt man die Wunder-Tabletten nach deren Einnahme du dich gleich viel besser fühlst: „Du legst dich schlafen und am Morgen erwachst du wie Neugeboren.“ Das ist doch Wirklich ein Glanzstück von Werbung. Oder der Coach, der mit Affirmationen dich zum ersehnten Glück verhelfen will. Dies trifft genau die Wünsche des einfachen Bürgers. Nichts tun und gleichzeitig vieles bekommen, wonach man strebt! Die Nachfrage erzeugt das Angebot!
Dina (Montag, 25 Juli 2022 17:20)
"Das kann man nicht wegdiskutieren nicht wegaktionieren, das geht nur durch emotionale Arbeit. Und das ist Schmerz - und viele haben keine Lust auf Schmerz. (Prof. Franz Ruppert)"
Und die, die Lust auf Schmerz haben, nennt man Masochisten.
Domenica Derungs (Freitag, 02 September 2022 22:06)
Wow ich habe alle Beiträge erst gelesen nachdem ich das 1. Mal bei Dir
Alles was ich gelesen habe spiegelt mein Leben wie es von mir gelebt wurde.
Es ist erschreckend, zeigt mir aber auch das ich so nicht weiter leben kann und will.
Es zeigt mir das ich bei Dir richtig bin und meine 2. Lebenshälfte richtig und gesund Leben möchte.
Danke Margrit
Domenica (Samstag, 12 November 2022 16:35)
In den Einzelsitzungen konnte ich lernen wie es sich anfühlt nicht immer zu sprechen sondern mit der Stille zu fühlen.
Ich kann es teilweise gut umsetzen und bin froh darüber.
In Gruppensitzunge komme ich jetzt besser klar und spüre die Gefühle manchmal sind sie schwer zu ertragen manchmal einfacher.
Mit jedem spürbaren Gefühl wachse ich.